80er Demos und Protest

Beeinflußten sich Musik und Protestbewegung gegenseitig?

Auch Musiker, die ja ebenfalls zu den Personen des öffentlichen Lebens zugerechnet werden müssen, brachten sich (wie bereits dargestellt) in die Friedensbewegung mit ein und hatten identitäts- und somit solidaritätsstiftenden Charakter. – Besonders bei Jugendlichen.

bots
bots waren "die Band zur Demo". (Bildquelle: http://bit.ly/1PNXMPR)

Wie kann man sich dieses Phänomen der Beeinflussung durch Musik, und in diesem Fall auf solche Massen, erklären?

Zunächst sollte man erst einmal festhalten, daß jegliche Art von Musik auf irgendeine Weise politisch zu verstehen ist, da sie zugleich bildende, symbolisierende und unterhaltende Funktionen beinhaltet und somit Einfluß auf den Musikhörer / die Gesellschaft ausüben kann.

So hatte bereits die aus dem (Post-) Punk und New Wave entstandene Neue Deutsche Welle bei den Jugendlichen neue Verhaltens- und Denkensformen hervorgebracht. Denn auch mit diesen aus dem Underground entstandenen Musikformen gingen neue Lebensformen einher und beschränkten sich nicht lediglich auf die Musik.

S.Y.P.H.
S.Y.P.H. gelten als Urväter des deutschsprachigen Post-Punk.
(Bildquelle: http://bit.ly/YB72sj - © Carmen Knoebel)

Verstärkend kommt noch hinzu, daß Musikhören als (phänomenologisch betrachtet) eine Geste des Horchens, der Empfängnis, des Befruchtetwerdens betrachtet werden kann.

Flusser erklärt dies knapp formuliert folgendermaßen:

„Das Hören von Musik ist eine Geste, die sich der empfangenen Botschaft anpaßt ....“
Der Hörer „schmiegt sich der zu empfangenden Botschaft an“. Dies kommt dadurch zustande, daß sich der Hörer den Schallwellen der Musik anpaßt, denn er konzentriert die ankommenden Schallwellen unbewußt in das Innere seines Körpers. Er wird somit von der Musik und dessen Botschaft im wahrsten Sinne des Wortes ergriffen. Er „erleidet“ die Musik.
Der Empfang von Musik ist also Pathos und sein Effekt ist Empathie in die Botschaft.
Dieses empathische Erleiden von Musik als ein Mitschwingen des gesamten Körpers des Hörers kann man nach Flusser mit Begriffen wie fühlen, träumen, denken, Sehnsucht, Ordnung, Wünschen, etc. umschreiben.

Wenn man sich aber nun vor Augen hält, welche Schallwellen durch die auf diesen Seiten aufgezeigten Musikbeispiele erzeugt wurden, so muß man wohl annehmen, daß durch sie nicht „lediglich“ eine Empathie, sondern gar ein große Sympathie zustande kam. Und da viele Menschen zu jener Zeit die gleichen Träume und Wünsche hatten, entstanden durch die Musik große Gemeinschaften.

Hans-A-Plast
Hans-A-Plast aus Hannover, einer damaligen Hochburg des
deutschsprachigen (Post-)Punk.
(Bildquelle: http://bit.ly/Yb3eyi)

Außerdem kam auch hinzu, daß die deutsche Sprache, wieder entdeckt durch die Neue Deutsche Welle, mit dazu beitrug, ein noch engeres Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen.

Denn, wie ich es bereits in „Paul ist tot“ versucht habe, zu verdeutlichen, konnten so die Gefühle weiter Teile der Bevölkerung explizit ausgedrückt und auch verstanden werden, da sie aus der unmittelbaren Alltagsumgebung eines jeden Einzelnen stammten.

Deutsch als native tongue kann man in diesem Zusammenhang sogar in zweifacher Hinsicht deuten:

1. Deutsch als Muttersprache
2. Deutsch als, im wahrsten Sinne des Wortes: Sprache des Volkes / der Nation

Die Funktionen von politischer Musik im eigentlichen Sinne, kann man auch unter den folgenden Gesichtspunkten zusammenfassen:

  • Die Musik soll allgemeine Aufmerksamkeit erregen und auf einige nicht-musikalische Handlungen, wie z. B. politische Einstellungen, Ansichtsweisen und Demonstrationen hinweisen. (Rattenfänger-Funktion)
  • Die Musik soll zur Grobinformation über Ziele einer politischen Tätigkeit dienen und wird durch Andere mit weiteren nicht-musikalischen Aktionen präzisiert. (Signal-Funktion)
  • Die Musik soll den potentiellen Teilnehmer der politischen Aktion emotional einstimmen, Sympathie erwecken, Ängste verringern und freudige Erwartungen in ihm aufbauen. (Emotionale Funktion)
  • Musik soll eine außermusikalische Botschaft verdeutlichen und ihre Wirkung intensivieren. (Verdeutlichungs- und Intensivierungs-Funktion)
  • Musik soll dazu dienen, Aussagen zu verfremden, umzudeuten, zu ironisieren, etc. oder aber kritisch zu kommentieren. (Verfremdungsfunktion)
  • Musik soll eine gemeinschaftliche Tätigkeit und ein Gemeinschaftsbewußtsein herausbilden. Hiermit geht auch gleichzeitig eine Abgrenzung nach außen einher oder aber doch zumindest eine gemeinsame Mitteilung an Außenstehende. (Solidarisierungs-Funktion)

Die oben angeführten Aspekte machen deutlich, wie wichtig gerade die deutsche Musik für die Friedens- und Protestbewegungen und Sub-Szenen war und sie auch durch die Songtexte, die ich exemplarisch eingefügt habe, beeinflußte.

Natürlich ist die Auswahl der hier versammelten Stücke nicht komplett, wenn man bedenkt, wie viele Bands und Musiker sich damals beispielsweise an der Friedensbewegung beteiligten. So hatten ebenfalls Liedermacher wie Hannes Wader, Wolfgang Danzer und Wolf Biermann einen großen Einfluß - auch der Song „Der blaue Planet“ von der ostdeutschen Band Karat ist noch in Erinnerung.

Allerdings muß man an dieser Stelle auch sagen, daß natürlich nicht alle deutschen Musikinterpreten zu jener Zeit politische und soziale Themen in ihren Texten zum Ausdruck brachten. Diese engagierten sich dann aber ebenfalls, indem sie auf Veranstaltungen ihre Songs vortrugen, was ja, wie eben bereits beschrieben, schon eine Solidarisationsfunktion besitzt (und verdeutlicht: ich bin einer von euch.), die ja für alle Bewegungen von äußerster Bedeutung ist.