80er Demos und Protest

Das Phänomen der Massenmobilisierung der Friedensbewegung - Ein Erklärungsversuch

Wie läßt sich diese gewaltige soziale Massenmobilisierung, die beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik ist, nun aber erklären?

Manche Forscher (siehe Schmitt) machen hierfür „die kollektive Definition diffuser Unzufriedenheit und ihre Transformation in politische Deprivation“ verantwortlich.

Hiermit meint er unter anderem, was ich in den vorangehenden Abschnitten schon versucht habe, darzustellen: Nämlich, daß die Friedens- und Protestbewegung es verstand, verschiedene Ängste und Befürchtungen aus verschiedenen Bevölkerungsschichten und -gruppen hinsichtlich der Politik jener Zeit, zu bündeln und auf ein bestimmtes Ziel zu konzentrieren.
Hierbei kam ihr zu Gute, daß durch die Vernetzung und zentrale Koordinierung vieler kleinerer Gruppen und Verbände zu einem Ganzen, teilweise divergierende Ansichten doch zu einer einheitlichen Gesamtbetrachtungsweise des eigentlichen, existentiellen Problems führten und sich somit niemand in der „Bewegung“ ausgegrenzt zu fühlen brauchte.

Trotzdem war dieses Ziel aber auch der kleinste gemeinsame Nenner, was bei der Vielzahl an unterschiedlichen Interessengruppen und -verbänden ja nicht zu verwundern mag. Denn Uneinigkeit bestand z. B. darüber, wie man seine Aktionen umsetzen sollte. - Ziviler Ungehorsam oder massenwirksame Aktionen?

atomare TerrorVereinigung
Wolf Wetzel - "Wenn das Kühlwasser der Atompolitik verdampft…."
(Bildquelle: http://bit.ly/1O353uL - © Wolf Wetzel)
Außerdem war das Ziel des Protests nicht bei allen Organisationen gleich, denn manche wehrten sich dagegen, den Protest lediglich auf die oben genannte Feindbilder zu beschränken. - Sie wollten den Protest auch auf die Rüstungsanstrengungen der Sowjetunion gelenkt sehen. Man einigte sich der Solidarität wegen auf Kompromisse oder gestand einzelnen Gruppen hier und da Zugeständnisse ein.

Im Vordergrund stand also immer der Solidarisierungsprozeß, welcher sich darauf bezog, daß immer mehr Nicht-Verstandene und Nicht-Berücksichtigte zu einem großen Ganzen zusammenwachsen und somit der unbeliebten und gefürchteten Politik der Nachrüstung Einhalt gebieten. (Das weiche Wasser, das den harten Stein bricht.)

Da sich jenes Ziel größtenteils auch leicht personifizieren ließ, war es auch nicht zu abstrakt und ließ sich zudem gut parolisieren. Hinzu kam, daß die Friedensbewegung als solche, keinen Klassenkampf wie zur Zeit der „68er-Revolten“ beabsichtigte, sondern als Ziel die Verwirklichung höherer Gesetze, wie es Petra Kelly formulierte und die der Regierung abgesprochen wurden, verfolgte.
Dieses Ziel galt es also mehrheitlich gewaltfrei zu erreichen, denn die eigentlichen Gewalttätigen saßen ja auf der Regierungsbank. Dies unterschied die Friedensbewegung übrigens auch von den anderen Protestbewegungen jener Zeit, die mehrheitlich aus Jugendlichen und anderen, „militanteren“ Organisationen zusammengesetzt waren und eine Diskussion über Gewalt und Gegengewalt in der breiten Bevölkerung auslösten.

Da es sich nun also um keinen „gewalttätigen“ klassenkämpferischen Ansatz handelte, war der Friedensbewegung ein Zulauf aus allen Bevölkerungsschichten gewiß.

Sonne statt Reagan - Joseph Beuys
Die Single "Sonne statt Reagan" von Joseph Beuys

So engagierten sich Kirchen, Gewerkschaften, Umweltschutzverbände, Kriegsdienstverweigererverbände, berufsgruppenspezifische Friedensinitiativen, Bürgerinitiativen, auch Bundeswehrsoldaten und -bedienstete, ehemalige Bundeswehrgeneräle (Gerd Bastian, Die Grünen), Wissenschaftler, die sich zusammen mit Journalisten in den öffentlichen Diskurs einmischten und viel zur Meinungsbildung beitrugen, wie z. B. Franz Alt und Hoimar von Ditfurth. Auch Politiker der DKP (ein entscheidender Propagandaapparat der Friedensbewegung), der SPD/Jungsozialisten und natürlich die aus der gesamten Protestbewegung hervorgegangenen Grünen engagierten sich – ebenfalls einige CDU- und FDP-Mitglieder.
Zudem gab es Friedensforscher wie z.B. Alfred Mechtersheimer, die mit ihren Instituten die Friedensbewegung mit theoretischem Background untermauerten und ihr auch beitraten. Andere Friedensforscher beschränkten sich lediglich auf eine „kritische Sympathie“ mit der Friedensbewegung, um so einen kritischen Dialog anzuregen.

Heinrich Böll auf Demo 1981
Heinrich Böll auf einer Friedensdemonstration in Bonn 1981
(Bildquelle: http://bit.ly/YaVL28 - © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz)
Schriftsteller wie Günter Grass und Heinrich Böll und weitere Personen des öffentlichen Lebens wie Volker Schlöndorff, Walter Jens, Rolf Hochhuth und Joseph Beuys („Sonne statt Reagan“) engagierten sich ebenfalls in der Friedensbewegung.

Sie alle hatten Vorbild- und Solidaritätscharakter in der Bevölkerung und begünstigten, daß sich der deutsche „Normalbürger“, dessen Art es ja sonst nicht ist, „auf die Straße zu gehen“, sich engagierte oder aber doch zumindest die Chance hatte, sich eine qualifizierte Meinung anzueignen und auch darüber zu diskutieren.