Pop and Wave

„Kein Freispiel drin“

Wie könnte man nun „Paul ist tot“ interpretieren?

Monarchie und Alltag
"Monarchie und Alltag" - "Paul ist tot" ist das
letzte Stück auf der zweiten Seite der LP-Version.
Es handelt sich hier aus meiner Sicht um zwei Arten von Beziehungen:
Die eine Beziehung handelt von einer Liebe zu einem Mädchen, die aller Wahrscheinlichkeit dem Ende zu geht, denn sie geht mit einem Anderen davon, da der Sänger seine Gefühle und Wünsche ihr gegenüber nicht befriedigt sieht und nicht einmal weiß, ob sie überhaupt die Richtige für ihn wäre. Die Beziehung ist leer und zukunftslos. – Genau wie er selbst, denn seine Träume werden in dieser Beziehung nicht erkannt und somit auch nicht erfüllt.

Die andere, viel interessantere, Beziehung ist die des Sängers zum Staat und zur Gesellschaft:
Um sich herum sieht er nur noch Ruinen, denn irgend etwas fehlt ihm. Ihm fehlt, daß der Staat oder die Gesellschaft ihn wahrnimmt, mit ihm kommuniziert, ihn irgendwie anspricht („ich warte darauf, daß du auf mich zukommst“).
Selbst der Fernseher (mit Nachrichten?) redet an ihm vorbei und die darin eventuell zu sehenden Politiker gehen auf seine eigentlichen gestellten Fragen nicht ein („taub und stumm“). Er weiß somit nicht, wie er seine Zukunft gestalten soll („die Frage wohin“), da er ja von niemandem wahrgenommen wird. Es werden ihm somit auch keine Lösungsansätze angeboten, die ihm helfen könnten.
Lediglich die „Mitte der Gesellschaft“, hier meiner Meinung nach dargestellt durch den Kellner, wird mit einer Politik angesprochen, die diese zufriedenstellen kann.
- Bereiche jenseits dieser Mitte (die Jugendlichen) werden seiner Meinung nach also nicht erreicht und demzufolge auch nicht berücksichtigt.

Das Einzige, was er weiß, ist, daß er diesen Staat so nicht mehr haben will.

Er träumt von einem besseren Verhältnis zu ihm, daß es aber seiner Meinung nach niemals geben wird („es ist zu spät, das Glas ist leer“). Er ist desillusioniert und denkt daran, sich eventuell von ihm abzulösen („ich traue mich nicht laut zu denken. Ich zögere nur und drehe mich schnell um.“), etwas (kriminelles?) zu unternehmen, damit sein Staat, wie er ihn sich erträumt, einmal Wirklichkeit werden kann.
Er befindet sich sozusagen einen Schritt davor, denn so ganz sicher ist er sich noch nicht, dieses Vorhaben anzugehen.

Paul könnte man in diesem Fall sozusagen als Bindeglied zwischen Staat und dem Einzelnen verstehen. – Aber Paul ist tot. Die Verbindung vom Staat zum Einzelnen und gerade zu einem Großteil junger Menschen ist gekappt („kein Freispiel drin“).

Dazu hört man im Hintergrund der Musik das Ticken einer Uhr.
- Oder ist es das Ticken eines Weckers?
Soll der Staat / die Gesellschaft endlich aufwachen, begreifen, welche Antworten auf welche Fragen von immer mehr (nicht nur) Jugendlichen verlangt werden?

- Oder ist es das Ticken einer Zeitbombe?
Eine Zeitbombe, die etwa zur gleichen Zeit auch bots mit ihrem Song „Aufstehn“ besingen?
Aber zu bots mehr im Kapitel zur Politik in der BRD.

Die Fehlfarben
Die Fehlfarben - (Bildquelle: http://bit.ly/JUiJrL - © Richard Gleim)

An diesem Text der Fehlfarben läßt sich außerdem sehr gut der Vorteil der Verwendung deutscher Sprache ursprünglicher NDW-Interpretationen herausstellen, nämlich daß die Musiker so viel besser mit Worten experimentieren und umgehen konnten, als wenn sie dies in englisch getan hätten.
Außerdem stiftete die Verwendung von deutscher Sprache ein engeres Zusammengehörigkeitsgefühl, denn es ist etwas anderes, wenn ein englischer/amerikanischer Interpret seine Befindlichkeit ausdrückt, die ja auch aus seiner engeren Umgebung (und damit Sozialisation) herrührt, als wenn ein deutscher Interpret seine Meinung und seine Gefühle kundtut, die ja dann auch aus der näheren Umgebung der Zuhörer stammen könnten und somit in zweifacher Hinsicht besser verstanden werden können.
- Deutsch ist eben native tongue.

Um nun den genaueren Hintergrund, auf den der Text von „Paul ist tot“ abzielt, besser verstehen zu können, muß man sich allerdings die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe der BRD Anfang der 80er Jahre vor Augen führen, welche zur Zeit der Veröffentlichung dieses Songs gerade erst am entstehen waren und sich in den folgenden Jahren noch mehr manifestierten und im Abschnitt zur Politik in der BRD zwischen 1980 und 1987 sowie zur Demo- und Protestbewegung und zur (musikalischen) Sub-Kultur behandelt werden.

Ach ja:
Irgendwo ist in einer Trivia zu lesen, daß sich dieser Song in Wirklichkeit auf einen Flipperautomaten im Ratinger Hof beziehen soll: Wenn man dort zu zweit spielte und die Kugel verloren ging, hieß es eben „Paul ist tot“. - Auch ein doofe Situation ;-)
Kann aber als Situation in dem erstgenannten Interpretationsansatz mit hinzugezogen werden.